Dralle Deerns Logbuch

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Die Bilge

Fangen wir mal ganz schlicht an: BILGEFARBE

Als ich schon ziemlich damit durch war, die gerade übernommene "Dralle Deern" auszuräumen und schon taschen- und säckeweise erst den Kofferraum des Autos und dann die ohnehin schon volle Garage damit zugestopft hatte, fand ich in den Ecken und Winkeln noch so manches, was sich dem ersten Blick entzogen hatte.
Und anderen etliche Farbdosen. Manche relativ neu, andere uralt. Darunter auch eine Dose mit "Bilgefarbe".
Und schon hatte ich sofort vor Augen, wie ich mit Werners Hilfe damals unseren 16er Stahl-Jollenkreuzer "Butt" (der erste Butt) mal über den Winter entrostet habe. Wo ist überhaupt Rost gewesen? Natürlich in der Bilge. Bilge, das ist der verborgene Bereich jedes Bootes, wo sich das Wasser sammelt. Bilge ist der auch der tiefste Punkt im Boot. Klar, dass alles Wasser, von wo auch immer es ins Boot kam, dorthin strömt. Die Schwerkraft will es so.
Bilge ist aber auch der Ort, an der man den Charakter und die Schwerpunktsetzung des Skippers erkennen kann.
Und Bilgen können höchst unterschiedlich aussehen. Mein leuchtendes Beispiel einer klinisch reinen Bilge (ich ahnte zuvor garnicht, dass es das überhaupt geben kann!) war die Bilge des Seglers meines Vereinskameraden Fritz. Fritz segelt nun leider schon in anderen Spären und ich durfte auf Wunsch der Familie die Trauerfeier für ihn halten. Fritz war Ingenieur und ein Fan höchster Reinlichkeit an Bord. Und sein Kronzeuge war die Bilge. Sie war nicht nur trocken und sauber, sie war - wie mal die Werbung es definierte - "rein". "Rein" ist die Steigerung von "sauber". Und wer den Unterschied nicht kennt, der hätte es sofort mit einem Blick in die Bilge von Fritzs Schiff erkannt. Ich hätte ohne zu zögern eine Suppe daraus gelöffelt oder einen Tee daraus getrunken. Und das will was heißen! Allerdings ist das keineswegs das Normalbild einer Bilge.
Das andere Extrem der Einstellung zur Bilge fand ich seinerzeit, als wir Puckis Stahlschiff, eine Seahawk 31S übernahmen. Man muss dazu erwähnen, dass Pucki Kraftfahrzeugmechaniker war und eine gut laufende Werkstatt sein Eigen nannte. Was er an den Autos seiner Kunden an einwandfreier Arbeit ablieferte, das schien er mit dem Diesel seines Schiffes und der darunter liegenden Bilge wieder ausgleichen zu wollen nach dem Motto: In der Freizeit packe ich keinen Motor an und er muss laufen und mehr nicht! Andere Vereinsmitglieder machte schon Witze darüber und warnten mich: "Das Ding ist in Ordnung, aber die Bilge sieht aus wie bei einem Panama-Dampfer!"
Nun habe ich nie in die Bilge eines Panama-Dampfers geblickt (die anderen wohl auch nicht), aber ich hatte sofort diese Rostlauben vor Augen, die man früher "Seelenverkäufer" nannte. Pumpt man eine solche Bilge leer, dann hat man sofort alle Umweltämter der Welt auf dem Hals und muss die schmierige Flüssigkeit irgendwo teuer entsorgen.
Bilge ist eben nicht gleich Bilge.
Ich liege irgendwo da zwischendrin: Ich muss keine Suppe aus meiner Bilge essen können, aber ich möchte auch nicht mit einem Panama-Dampfer verglichen werden.
Und ganz unten - ob im Boot oder in der Gesellschaft - da sammelt sich nun halt mal alles, was wir oben und bei Tageslicht nicht so gerne sehen wollen. Ob man das nun politisch so oder anders deutet, ändern wird man es kaum dauerhaft können.
Beim Boot ist es jedenfalls so, dass die Bilge so etwa die Funktion hat wie in der katholischen Theologie das Fegefeuer. Für die Hölle ist es noch zu früh und nicht schlimm genug (Hölle wäre, wenn der Bilgeinhalt ungeklärt in die artenreichen Gewässer fließen würde), aber es ist schon mal in die Richtung vorsortiert. Aber es ist ein Bewährungsort, auch ein Bewahrungsort. Denn noch kann man die Bilge abpumpen, säubern und alles legal "entsorgen" lassen. Und dann ändert sich der Kurs von abwärts Richtung Hölle in aufwärts Richtung Himmel.
Meine Bilge hat eine klare Funktion: sie fängt auf, was ich aus irgendwelchen Gründen nicht vermeiden konnte. Es wird gesammelt, damit ich sorgfältig damit umgehen kann um das Schlimmste zu vermeiden. Ist in der Bilge nun mehr Wasser als Öl, dann kann sie auf dem Stahlschiff rosten. Und jetzt bin ich wieder bei Werners und meiner Aktion beim Butt, dem Jollenkreuzer. Der mit der flachen Bilge. Da hatte sich auch Rost angesetzt. Die Plicht war zudem nicht selbstlenzend und aller Regen lief eben auch in die Bilge. Da gab es dann eine elektrische Lenzpumpe, die - je nach Einstellung des Schalters - das Wasser wieder außenbords beförderte, automatisch oder von Handschaltung. Da wir einen Außenborder fuhren kam auch kein Motoröl in die Bilge. Das war also vertretbar. Gelegentlich aber fiel mal die Butter vom Tisch oder die geöffnete Dose mit den Ravioli. Dann musste die Bilge auch das schlucken -und wir sie wieder ordentlich putzen - oder auf einen Starkregen warten.
Und im Winter, als alles trocken war, schruppten wir ihre tiefsten Stellen mit Stahlbürste und allem, was wir für tauglich dafür hielten. Durchaus mit Erfolg.
Die Krönung kam zum Schluss: Nach der Grundierung mit Bootsprimer (3x) in fröhlichem Grau strichen wir endlich die extra dafür entwickelte "Bilgefarbe" in die Ecken und Winkel der Bilge.
Sah richtig gut aus. Fast die die Bilge von Fritz. Und vor allem hatten wir die begründete Hoffnung, nun dem bösen Rose mal wieder für eine gewisse Zeit ein "P" vorgesetzt zu haben. Was sich als begründete Hoffnung erwies. Den Langzeitbilgefarbentest konnten wir allerdings nicht machen, weil der Jolli längst in Schweden rumkreuzt und dem "Butt" Nr. 2, der LM23Comfort weichen musste - weil er der Besten aller Ehefrauen nicht bequem oder fahrtentauglich genug erschient. Und ich fand es am Ende auch nicht schlecht, an Bord einen Ort zu haben, wo man sich die Hose morgens mal im Stehen anziehen konnte! Auf das Klo mit elektrischem "Zerhacker" hätte ich vielleicht verzichten können wie mancher Autofahren auf die elektrischen Fensterheber, aber man gewöhnt sich schnell an jeden nicht unbedingt nötigen Komfort.
Bilgefarbe - das ist eine ganz besondere Farbe. Sie muss mehr abkönnen als andere Farben. Ihre Bestimmung ist es nicht, zu glänzen, zu veredeln, Menschen in Bewunderung über eine wunderschöne Lackierung zu versetzen. Sie muss erstens auf jedem Untergrund halten und nicht abglättern. Sie muss den Rost kleinhalten. Sie darf sich weder von Motoröl noch von Ravioli aus der Dose beeindrucken lassen. Sie muss den ganzen Scheiß abkönnen, den die Schwerkraft zu ihr runter gezogen hat. Der Farbton ist total egal, denn er ändern sich schnell, je nach "Eintrag".
Die Bilgefarbe hat meine höchste Bewunderung unter allen Farbe, dicht gefolgt vom Hammerschlaglack. Der mit den drei unglaublichen Eigenschaft in einem einzigen Anstrick: Haften, entrosten, ewig halten und dabei immer schön aussehen. Das stimmt zwar nach meiner Erfahrung nicht immer und in allen Punkten, trotzdem liebe ich auch den Hammerschlaglack. Allerdings nicht in der Bilge und eigentlich überhaupt nicht im Boot, auch nicht im Stahlboot.
Da ist die Bilgefarbe die Königin der Farben. In meinem Farbkosmos. Und außerdem ist sie bei all diesen wunderbaren Eigenschaft, die ich mir manchmal auch für mein Standing in dieser Welt wünsche, auch noch vergleichsweise billig im Einkauf. Wenn man überhaupt davon sprechen kann, dass im Yachtzubehör irgendetwas je "billig" im Sinne von "preiswert" gewesen wäre.

Nun habe ich Adolfs Bilgefarbe gefunden. Im äußersten Winkel des Stahlschiffes. Da, wo sie hingehört und wo sie wirken soll. Bisher hat sie das bei der "Deern" wacker getan. Aber ich werde ein Auge auf die Ecken und Winkel haben, wo man im Zweifel wie unter dem Motor nur mit Kardanhänden und - fingern hinkommt. Oder wenn man den Motor ausbaut (wer will das?!).

Im übrigen vermute ich, dass man Bodenbretter nicht nur deshalb über die Bilge legt, damit man besser laufen kann. Sie haben den angenehmen Nebeneffekt, dass einem das Elend dort unten nicht ständig vor Augen ist!
Und im Zweifel hat man immer ein Fläschchen mit Spülmittel in Reichweite, wenn das Wasser ums Boot sich bunt zu färben beginnt...